verpflichtung_des_staates_und_der_religionsgemeinschaften
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====== Verpflichtung des Staates und der Religionsgemeinschaften ====== | ====== Verpflichtung des Staates und der Religionsgemeinschaften ====== | ||
+ | ===== Urteil BVerwG 6 C 11.13 ===== | ||
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+ | **VG Freiburg - 21.09.2011 - AZ: VG 2 K 638/10 | ||
+ | VGH Mannheim - 23.01.2013 - AZ: VGH 9 S 2180/12** | ||
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+ | In der Verwaltungsstreitsache hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 16. April 2014 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Neumann und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Möller, Rothfuß, Hahn und Prof. Dr. Hecker für Recht erkannt: | ||
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+ | Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 23. Januar 2013 wird zurückgewiesen. | ||
+ | Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens. | ||
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+ | **Gründe** | ||
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+ | **I** | ||
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+ | Die Klägerin begehrt die Feststellung, | ||
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+ | Die Klägerin ist alleinsorgeberechtigte Mutter dreier nicht konfessionsgebundener Söhne. Im Februar 2010 befanden sich ein Sohn in der zweiten Klasse und ein weiterer Sohn in der vierten Klasse der ...-Grundschule in F. | ||
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+ | Die Klägerin verlangte im Februar 2010 vom Kultusministerium die Einrichtung des Fachs Ethik an der ...-Grundschule. An der Schule gebe es kein adäquates Ersatzfach für das Fach Religion. Sie habe ein Recht auf ethisch-moralische Bildung ihrer Kinder. Die Benachteiligung ihrer Söhne aufgrund ihrer weltanschaulichen Gesinnung sei nicht verfassungsgemäß. Ethikunterricht solle gleichberechtigt und parallel zum Religionsunterricht stattfinden. | ||
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+ | Das Kultusministerium erwiderte, Ethik sei in höheren Klassen (7. oder 8. Klasse) weiterführender Schulen als eigenes Fach eingeführt, | ||
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+ | Die im April 2010 erhobene Klage blieb in beiden Vorinstanzen ohne Erfolg. Der Verwaltungsgerichtshof hat den zuletzt gestellten Antrag der Klägerin, festzustellen, | ||
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+ | Zur Begründung ihrer Revision trägt die Klägerin vor, bei Fehlen eines schulfachlich verselbständigten Ethikunterrichts sei die ethisch-moralische Bildung konfessionsloser Schüler nicht hinreichend gesichert. Im Vergleich zu konfessionsgebundenen Schülern, die am Religionsunterricht teilnehmen könnten, liege eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung vor. Art. 7 Abs. 3 GG eröffne den Religionsgemeinschaften Raum zur Unterrichtung ihres Bekenntnisses nur deshalb, weil sie hiermit für den Staat die ethisch-moralische Bildung der Kinder übernehmen und so eine staatliche Aufgabe erfüllen sollten. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Säkularisierung der Gesellschaft könnten die Religionsgemeinschaften diese Aufgabe nicht länger umfassend erfüllen. Hierauf habe der Staat allgemein mit der Einrichtung des Fachs Ethik reagiert. Das Grundgesetz verlange vom Staat, dieses Fach parallel zum Fach Religion in allen Jahrgangsstufen einzurichten. Eine Privilegierung konfessionell gebundener Schüler werde durch Art. 7 Abs. 3 GG nicht gedeckt. | ||
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+ | Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. | ||
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+ | **II** | ||
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+ | Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 144 Abs. 2 VwGO). Das angefochtene Urteil beruht nicht auf der Verletzung revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO). Aus revisiblem Recht ergibt sich kein Anspruch der Klägerin auf Einrichtung des Fachs Ethik in den Grundschulklassen. Ihr Feststellungsbegehren findet somit im revisiblen Recht keine Stütze. | ||
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+ | 1. Gegen die Zulässigkeit der Klage bestehen keine Bedenken. | ||
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+ | Es liegt eine nicht verfassungsrechtliche Streitigkeit im Sinne von § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO vor. Die Klägerin strebt nicht den Erlass oder die Änderung eines Parlamentsgesetzes an, sondern eine staatliche Rechtssetzung auf untergesetzlicher Ebene. Hierüber zu entscheiden sind die Verwaltungsgerichte auch dann berufen, wenn der Anspruchsteller sein Begehren auf verfassungsrechtliche Gründe stützt (vgl. Urteil vom 3. November 1986 - BVerwG 7 C 115.86 - BVerwGE 80, 355 <357 f.> = Buchholz 310 § 40 VwGO Nr. 238 S. 11 f. m.w.N.). | ||
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+ | Wegen des dritten Sohnes der Klägerin, dessen Einschulung an der ...-Grundschule mittlerweile für 2014 vorgesehen ist, besteht ein Feststellungsinteresse unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr. | ||
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+ | 2. Ein Anspruch der Klägerin auf Einrichtung des Fachs Ethik in den Grundschulklassen ergibt sich nicht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG. Nach dieser Vorschrift sind Pflege und Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. | ||
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+ | Im Handlungsfeld des öffentlichen Schulwesens stößt das elterliche Erziehungsrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG auf den in Art. 7 Abs. 1 GG verankerten staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrag. Art. 7 Abs. 1 GG vermittelt dem Staat Befugnisse zur Planung, Organisation, | ||
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+ | Zwar ist das elterliche Erziehungsrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG dem staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrag aus Art. 7 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich gleichgeordnet (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. Dezember 1977 - 1 BvL 1/75 u.a. - BVerfGE 47, 46 <72>; stRspr). Hieraus wird ersichtlich, | ||
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+ | Jedoch verbleibt dem Staat bei Festlegung des schulischen Bildungs- und Erziehungsprogramms - dem Kernbereich seiner Schulgestaltungsmacht - Gestaltungsfreiheit. Namentlich können Eltern nicht die Einrichtung bestimmter Schulfächer verlangen (vgl. Robbers, in: v. Mangoldt/ | ||
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+ | **//16//** | ||
+ | Ob die Gestaltungsfreiheit des Staates im Hinblick auf das schulische Bildungs- und Erziehungsprogramm und gegebenenfalls auch im Hinblick auf die Zusammensetzung des Fächerkanons an Grenzen stößt - jenseits derer dann ausnahmsweise grundrechtliche Gestaltungsansprüche einzelner Eltern erwachsen könnten -, wenn der Staat seine Verantwortung, | ||
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+ | 3. Ein Anspruch auf Einrichtung des Fachs Ethik in den Grundschulklassen ergibt sich nicht aus Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG; auf die Frage, ob diese Vorschrift Individualrechte von Eltern begründet, kommt es nicht an. | ||
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+ | **//18//** | ||
+ | Gemäß Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG ist der Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach. Satz 2 der Vorschrift bestimmt, dass er unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechts in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt wird. Die Klägerin hat mit ihrer Forderung nach Einrichtung des in § 100a BaWüSchulG geregelten Ethikunterrichts auch in den Jahrgangsstufen der Grundschule keinen Religionsunterricht im Auge. Ausweislich von § 100a Abs. 2 BaWüSchulG orientiert sich der Ethikunterricht „an den Wertvorstellungen und den allgemeinen ethischen Grundsätzen, | ||
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+ | Entgegen Überlegungen, | ||
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+ | Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG ist vor diesem Hintergrund als eine Norm zu verstehen, die den Bereich der Schule dem Einwirken von Seiten der Religionsgemeinschaften öffnet, d.h. diesen als außerstaatlichen Bildungs- und Erziehungsträgern die Möglichkeit schulbezogener Mitwirkung im Interesse der Religionsfreiheit einräumt. Dementsprechend ist die Vorschrift in der Rechtsprechung des Senats als Konkretisierung des Selbstbestimmungsrechts der Religionsgemeinschaften (Urteil vom 23. Februar 2000 a.a.O. S. 340 bzw. S. 11), als Mittel zur Entfaltung und Unterstützung der diesen grundrechtlich gewährten Religionsfreiheit bezeichnet worden (Urteil vom 23. Februar 2005 a.a.O. S. 53 bzw. S. 17; vgl. auch Badura, a.a.O. Art. 7 Rn. 67). Zwar weist Art. 7 Abs. 3 GG den Religionsunterricht der staatlichen Unternehmerschaft zu, d.h. er entlässt ihn nicht aus der staatlichen Schulhoheit, | ||
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+ | 4. Ein Anspruch auf Einrichtung des Fachs Ethik in den Grundschulklassen ergibt sich nicht aus Art. 3 Abs. 3 GG. | ||
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+ | Nach dieser Vorschrift darf niemand wegen seines Glaubens benachteiligt oder bevorzugt werden, unabhängig davon, ob eine Regelung hierauf unmittelbar angelegt ist oder in erster Linie andere Ziele verfolgt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. Oktober 2005 - 2 BvR 524/01 - BVerfGE 114, 357 < | ||
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+ | Ob der Verzicht auf die Einrichtung des Fachs Ethik in der Grundschule im tatbestandlichen Sinne eine Ungleichbehandlung konfessionsloser Schüler gegenüber konfessionell gebundenen Schüler darstellt - was angesichts der aufgezeigten Unterschiede zwischen Ethik- und Religionsunterricht in Frage gestellt werden könnte -, bedarf keiner Vertiefung. Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 GG scheidet jedenfalls deshalb aus, weil die Einrichtung von Religionsunterricht als Schulfach durch das Grundgesetz selbst in Art. 7 Abs. 3 Satz 1 vorgegeben ist, die Einrichtung eines gesonderten Fachs Ethik hingegen nicht. Bereits der Verfassungsgeber hat mithin diejenige Differenzierung vorgenommen, | ||
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+ | 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. | ||
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+ | Quelle: https:// |
verpflichtung_des_staates_und_der_religionsgemeinschaften.1760344485.txt.gz · Zuletzt geändert: 2025/10/13 10:34 von bjohan02_uni-mainz.de